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Montag, 27. November 2017

Die Glocke von Stein

Die Glocke der Thelema rief die Anhänger jeweils zu Gebet und Messe.
Ein Sakralschurz, geschneidert von einer Ordensfrau.
Gut 50 Jahre lang gab es in Stein im Appenzellerland, Dorf meiner Jugend und mein Bürgerort, im Gasthof Rose die "Abtei Thelema". Der dort residierende okkulte Orden namens "Psychosophische Gesellschaft" war - sagen wir mal - zu einem Drittel unheimlich und zu zwei Dritteln lächerlich, im Nachhinein betrachtet. Es wurden im Keller Messen gefeiert, die Hierarchen trugen dabei fantasievolle Gwändli, man vernetzte sich international mit anderen Gruppen wie den Templern und den Freimaurern. Im Zentrum stand ein verkrachter, vormals in Zürich wegen Betrugs gebüsster Graphologe, der es verstand, sich Leute, vor allem Frauen, gefügig zu machen und diese emotional und auch finanziell zu vampirisieren - ein klassischer Sektenmechanismus. Das alles ist seit gut zwei Jahrzehnten Vergangenheit, der Guru längst ebenso tot wie eine Handvoll Leute des engeren Kreises, deren Seelen nachhaltig ruiniert wurden. Tausende Dokumente, Schriften und Objekte der sich am englischen Magier Aleister Crowley orientierenden Abtei lagern heute unter dem Namen "Collectio Magica et Occulta" in der Ausserrhoder Kantonsbibliothek in Trogen. Ich schrieb im Tagi diesen Sommer einen Artikel über die merkwürdigen Thelemisten von Stein, die von den Einheimischen stets als Fremdkörper empfunden wurden, und bloggte auch zum Thema. Nun, da in Stein im Appenzeller Volkskundemuseum eine aus dem Fundus der erwähnten Collectio gespiesene Ausstellung angelaufen ist, ging ich mir diese - das war vorgestern - anschauen. Ausgestellt sind Kultgegenstände und -gewänder, dazu Bücher aus der Bibliothek des Ordens, Fotos, Zeitungsartikel sowie die abtei-eigene Glocke, die Sakralanlässe einläutete. Mein Eindruck nach dem Besuch der Ausstellung ist derselbe wie nach der Lektüre des kundigen Buches der Historikerin Iris Blum: Die Leute von der Rose waren wirre Charaktere. Aber sie waren es mit Methode und Beharrlichkeit, so dass sich die Psychosophische Gesellschaft ein halbes Jahrhundert halten konnte.
Das Appenzeller Volkskundemuseum in Stein AR mit dem Plakat
zur gegenwärtig laufenden Ausstellung "Tu, was du willst".

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